Seit Tagen überlegen wir, was uns die alte Frau wohl mit auf den Weg geben wollte. Wir sind im ländlichen Norden Portugals und haben uns am Sonntag auf einem Bauernmarkt mit ein paar Lebensmitteln eingedeckt. Die alte Bäuerin verkaufte uns ihren halben Gemüsegarten, sonnengereifte Paprika, Tomaten, frische und getrocknete Bohnen, Weintrauben, Selbstgebrannten, hausgemachte Konfitüre und Brot. Man muss ihr zweifellos einen sehr grünen Daumen attestieren, eine gute Küchenführung und sehr viel Serviceorientierung – ich durfte gar nichts zum Auto tragen, Lisa nur wenig, die alte Frau schleppte auch unter meinem Protest den Einkauf noch den Hang hinauf bis in unser Auto. Wortreich erklärte sie die ganze Zeit … Dinge. Dinge, die wir nicht verstanden. Denn ihre Fremdsprachenkenntnisse waren nicht sehr ausgeprägt.
Auch wenn es mir sehr unangenehm ist, ich habe fast alles vergessen, was die portugiesische Sprache angeht. Dabei habe ich zum Abitur sogar mal in einem kleinen Theaterstück auf portugiesisch mitgewirkt. Die geringe globale Bedeutung der Sprache und die absurden Ausspracheregeln machen ein regelmäßiges Training auch recht knifflig. Kurz gesagt, wird c zu sch, d manchmal hingenuschelt, manchmal weggelassen, g wird zu sch, h ist stumm, j wird zu sch, s wird zu sch, t wird zu sch, x wird manchmal zu sch und z ebenfalls manchmal zu sch. Alles was nicht zu sch wird, wird einfach nicht ausgesprochen.
Die alte Bäuerin war sichtlich erfreut, dass wir an so vielen ihrer Produkte Interesse hatten, wollte aber zu sehr vielen auch noch etwas sagen. Etwa zur Chuchu, auf deutsch Chayote, wie uns Google später verrät, ein grüner birnenförmiger Kürbis mit Stacheln. Und so eben auch zu dem Brot. Allerdings ergoss sich für uns untrainierte, doofe Deutsche einfach ein Gewitter aus Sch-Lauten über uns und wir nickten immer nur ganz aufgeregt, wenn wir mal ein Wort verstanden, zwischendurch. „Mel“ zum Beispiel, eines der ganz wenigen portugiesischen Worte ohne irgendwas Zischendes, Honig, wie auf französisch „miel“, das war einfach. Aber noch bevor mein Gehirn das überhaupt richtig verarbeiten konnte, ging auch schon das Sch-Dauerreferat weiter über Dieses und Jenes.
Wir kauften nun also ein Brot, das wirklich sehr lecker aussah. Erst im Ferienhaus angekommen, beim Auspacken des Einkaufs, fiel uns so richtig auf, wie schwer es eigentlich war. Nach den Größen-Maßstäben einer deutschen Bäckerei hätten wir ein Landbrot gekauft von vielleicht 750 Gramm. Unser Brot aber brachte ganz drei Kilo auf die hiesige Küchenwage. Was war das nur? Wir schnitten es an. Die Krume war feucht, als wäre das Ganze nicht richtig durchgebacken. Unglaublich quietschig, elastisch, gummiähnlich. Jede einzelne Scheibe wog ungefähr so viel wie ein ganzes Ciabatta-Brot in Italien. Was wollte uns die Frau nur sagen? „Ihr müsst das noch fertigbacken?“ Dafür war die Kruste schon zu gut gebräunt und geröstet. Wir tunkten eine Scheibe des Brotes in Olivenöl, wie wir es gern tun. Das Brot allerdings saugte kein bisschen Öl auf. Fast hatte man den Eindruck, es gab noch Feuchtigkeit ins Öl ab. Wir ließen das Brot liegen und warteten ein, zwei Tage, auf dass es etwas austrockne.
Jetzt muss man dazu erwähnen, dass die Gegend, das immergrüne Tal des Rio Vouga mit seinen endlosen Wäldern und Bachläufen mich am ehesten an Mittelamerika erinnerte. Nicht nur der Palmen und exotischen Früchte wegen. Es war halt einfach feucht – und das ist auch alles gut und schön, schließlich ist es dafür und deswegen ein grünes Paradies im Nirgendwo. Aber dem Brot tat das nicht gut. Nach zwei Tagen hatte es nichts von seiner Feuchtigkeit, von seiner unglaublichen Dichte verloren. Wir begannen, es scheibchenweise zu toasten. Erst auf mittlerer Stufe, dann auf der allerhöchsten. Das war dem Brot alles herzlich egal. Es kam mal mehr und mal weniger warm aus dem Toaster und speicherte die Wärme dank der enthaltenen Feuchtigkeit auch erstaunlich lange – aber trockener wurde es nicht. Wir aßen kleine Stücke dieses warm-feuchten Brotes aber es wurde immer mehr im Mund und man war nach einem kleinen Stück eigentlich auch fertig mit der Mahlzeit. Was wollte uns die alte Frau nur sagen? „Das ist nur für Kampfeinsätze in fernen Ländern, wo die Ernährungssituation schlecht ist?“ Warum aber sollte so etwas auf dem hiesigen Bauernmarkt feilgeboten werden? Ich muss kurz an diesen japanischen Offizier denken, der das Ende des zweiten Weltkriegs ganze dreißig Jahre lang, versteckt im philippinischen Dschungel, verpasst hatte. Laufen hier in den Wäldern noch immer…? Nein, das ist ja absurd.
Letztes Jahr waren wir im Urlaub in Frankreich, in der Charente. Unser Ferienhaus hatte eine Feuerstelle und einen Grill und ein Lager an Brennholz und wir versuchten uns dann und wann im Anmachen eines Feuers, was nach Sonnenuntergang auf dem Land immer eine feine Sache ist. Es gab da den Ast einer Eiche, den wir 2 Wochen lang jeden Tag anzündeten, der immer wieder anfing zu glühen aber nie ernsthafte Fortschritte machte und an jedem Morgen immer noch da lag. Wir haben diese ewige Eiche im Kamin liegend unseren Vermietern überlassen. Seit einem Jahr hat sich diese Kamineiche bei uns zu einem geflügelten Wort entwickelt. Wir sagen immer, wenn die ganze Welt untergeht, dieses Stück bester französischer Eiche wird immer noch da sein.
Auch in diesem Jahr haben wir Grill und Kamin in unserem Ferienhaus und auch in diesem Jahr haben wir einen ordentlichen Vorrat an getrocknetem Eichenholz vorgefunden. Wir sind auch hier in Portugal also dazu übergegangen, zu grillen. Das funktionierte ganz wunderbar. Wir nahmen ein Stück Eichenholz, ließen es verbrennen und grillten auf der Glut. Da unser Brot nun also der Kraft des Toasters gegenüber immun erschien, fingen wir an, es zu grillen. Erst kürzer, dann länger. Der Effekt blieb immer gleich. Das Brot wurde warm und wärmer, aber es blieb unfassbar feucht, schwer und eigentlich nicht essbar. Am fünften Tag fragte Lisa, ob das Brot wohl brennen würde und wir beschlossen, es mit einem kleinen Stück auszuprobieren. Am nächsten Morgen folgte die Überraschung – die Eiche war weg aber das Brot noch immer da. Was um alles in der Welt wollte die alte Frau nur sagen? „Das ist ewiges Brot“?