Leseprobe: Kartoffelsalat mit Drecksviech

„So … ditte hier is jetze ma Kartoffelsalat …“
Spreewald. Irgendwo im Nichts. Nach einer Stunde Kanufahren. Anlässlich eines Events, das meine Oma als ‚Betriebsausflug‘ bezeichnet hätte.
„… Ditte sind Schmalzstullen … Kräutaquaak … Pellkatoffeln komm glei noch …“
Die Kellnerin füllt unseren Tisch mit regionalen Spezialitäten.
„Und hier natürlich noch die Jurken!“

„Das ist ja Essen wie zu Hause“, jubiliert die neben mir sitzende Kollegin, selbst noch weit östlich des Spreewalds zur Welt gekommen.
„Ja siehst Du, gar nicht so schlimm im Land der Stummen.“ (1)
„Vielleicht…“

„Noch’n Radler?“
Ich nicke.
„Noooo!!!“, interveniert die Kollegin.
Ich schaue interessiert zur Seite. „Hast du Angst, ich kann dann nicht mehr Kanufahren?“
„Ihr dürft nicht so süßes Zeug trinken.“
„Naja, vielleicht noch ein bisschen früh für Wodka?“
„Ist mir egal, Wodka zieht keine Wespen an.“
„In der Not frisst die Wespe Schmalzstulle“, antworte ich und zeige auf Ihren Teller, der gerade Besuch bekommen hat.
„Aaaahhhhhhhh“. Die Kollegin tut alles, was im Ratgeber ‚101 Tipps für mehr Wespenstiche‘ stehen würde: Sie schlägt ungeschickt nach den Wespen, rennt davon, pustet sie an, schreit sie an, agiert hektisch. Ein mal setze ich mit meinem Glas an, eine träge Wespe auf dem Tisch zu erdrücken. „Nooo!! Du darfst die nicht umbringen!“ Gut, ich esse erst mal in Ruhe meinen Teller leer.
„Hast Du gar keinen Hunger?“, frage ich Rumpelstilzchen, das um den Tisch jagt.
„Weiß ich nicht, hier sind Wespen!“
„Soll ich vielleicht doch mal ein paar eliminieren?“
„Mörder!“
Ich nehme mir Nachschlag aus den Schüsseln. 30 Sekunden lang hält es die Kollegin auf dem Stuhl, dann springt sie auch schon wieder auf. „Die sind ja überall!?“
„Das ist hier die Erde. Da sind noch andere Lebewesen“, schmatze ich ihr mit vollem Mund entgegen.
„Kann man denn da gar nix machen?“
„Die Menschheit gibt sich meiner Meinung nach gerade alle Mühe, Eisbären, Tiger und Gorillas auszurotten. Wespen profitieren leider vom Klimawandel. Haben wir noch Kartoffeln?“
„So ein Eisbär wäre mir aber lieber“, kreischt die Kollegin. Sie springt schon wieder um den Tisch.
„Isst Du Deine Brezel noch?“
„Finger weg, ich esse das alles noch!“
„Hilft da denn gar nichts?“
„Wasser hilft. Wenn sie merken, dass es regnet, fliegen sie nach Hause.“
In der nächsten Sekunde wird unser Tisch von einer Mineralwasserflasche geflutet.
„Du lügst, die sind immer noch da!“
„Regen. Nicht Pfütze. Unterschied? Die Gurken sind echt lecker!“

Der Chef kommt an unseren Tisch. „Was ist denn hier los?“
„Was meinst Du?“
„Tut ihr nichts gegen die Wespen?“
Er nimmt die Speisekarte, rollt sie zusammen und zack, zack, zack, zack, in 5 Sekunden halbiert er die Spreewälder Wespenpopulation. „Ich hasse diese Drecksviecher!“ Zack, zack, zack, zack.
Ich gucke zur Kollegin, die nun halb zufrieden, halb verschüchtert zum Tisch zurückkommt. „Ihr dürft nicht töten“, ist das letzte was aus dem vollen Mund zu verstehen ist. „Ihr dürft die doch nicht umbringen. Boah ist das lecker. Aber ihr solltet die wirklich nicht… mmmhhhh….“
Schön, wann man Prinzipien hat, denke ich und bestelle noch ein Radler.

 

 

 

 

(1) Das slawische Wort für „deutsch“ wird auf den Wortstamm von „stumm“ zurückgeführt

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